Herr Przewalski lebt jetzt als Pferd im Zoo

Przewalski-Pferde im Zoo von Toronto, Kanada

Sarkastisch könnte man die Entwicklungsgeschichte des Pferdes etwa so beschreiben: Wildpferd - Reitpferd - Ackergaul - Traktor. Daraus ließe sich folgerichtig die Entwicklung des Menschen ableiten: Affe - Homo sapiens - Konsument - Roboter.

Nikolai Michailowitsch Przewalski lebte im 19. Jahrhundert, war Offizier der russischen Armee und Forschungsreisender. Seine Passion bestand darin, die Gebiete Zentralasiens zu erforschen. Von einer seiner Reisen brachte er 1878 das Fell und den Schädel eines Wildpferdes mit nach Hause. Diese Art war damals noch fast unbekannt und bereits zu jener Zeit sehr selten geworden. Nikolai Michailowitsch wurde die Ehre zuteil, dass dieses Pferd nach ihm 'Przewalski' genannt wurde. Das Przewalski-Pferd war die letzte frei lebende Wildpferd-Art auf der Erde.

Dieses Wildpferd scheint indes in der freien Natur zur Gänze ausgestorben; das letzte frei lebende Przewalski-Pferd hat man 1969 gesichtet, danach verloren sich seine Spuren. Einige Züchter hatten sich noch rechtzeitig eine gewisse Anzahl der Tiere gesichert und diese vorwiegend in Zoos weiter zur Aufzucht gehalten. So gibt es heute wieder etwa 2.000 Exemplare dieser schönen Tiere. Finden kann man sie unter anderem im Prager Zoo oder auch in Hellabrunn.

Unter anderen hat zudem der Zoo in Toronto unlängst ein großartiges Aufzuchtprogramm auf die Beine gestellt und die Lebensbedingungen der Tiere dort lebenden Pferde scheinen optimal. Erst kürzlich (2008) wurden wieder zwei Fohlen geboren, die inzwischen gut in die Herde integriert sind. Ziel ist es, einen Teil der Tiere als komplette Herden wieder in ihren natürlichen Lebensraum auszuwildern.

Das heutige Foto zeigt zwei der prächtigen Burschen beim Grasen auf ihrer Weide. Es wurde am 29. Juni 2011 im Zoo von Toronto aufgenommen. Manchmal geht es ganz schön hoch her auf der Weide und die Jungtiere jagen und knuffen sich gegenseitig. Das ist für die Tiere ein ganz normal Verhalten, in dem sie ihre Rangordnung untereinander regeln.

Das Przewalski besitzt ein Sommerfell und ein Winterfell. Im Sommer sind die Haare kurz und glatt, im Winter dagegen lang und wollig. Es ist mit 1,40 Meter Höhe relativ klein, verglichen mit den heutigen Pferderassen, und wiegt 250 bis 300 kg. Obwohl es auch mit kargem Steppenland als Nahrungsquelle gut ausgekommen ist, war sein natürlicher Lebensraum immer weiter eingeschränkt worden, und selbst die verminderte Größe hatte es am Ende nicht vermocht, sie überleben zu lassen.

So drücken wir also den inzwischen weltweit etablierten Renaturierungsprogrammen beide Daumen und hoffen, dass dieses überaus reizvolle und anmutige Tier der Nachwelt noch lange erhalten bleiben wird. Vielleicht werden wir es irgendwann wieder in freier Wildbahn sehen können.

BT0035

Verflochten und verwoben

Geborstene Kopfweide an einem Wasserlauf

Wie sehr Leben und Sterben ineinander verwoben sind, lässt sich immer wieder auf meinen Spaziergängen beobachten. Ein besonderes Exemplar solcher Verflechtungen möchte ich heute vorstellen. Es handelt sich um die in unseren Auen häufig vorkommenden Kopfweiden.

Wenn man bestimmte Baumarten, vorzugsweise die Silberweide oder die Korbweide, in 2 Metern Höhe absägt, treibt der Baum an seiner Schnittfläche viele neue Triebe, sogenannte Ruten aus. Diese Ruten, vor allem von der Korbweide, wurden früher zum Körbe flechten verwendet, heute ist der Beruf der Korbmacher praktisch ausgestorben.

Mit der Zeit bildet das Oberteil des Baumes einen rundlichen 'Knorpel' aus, den Kopf des Baumes, daher die Bezeichnung 'Kopfweide'. Wird eine Kopfweide längere Zeit nicht geschnitten, wachsen lange Äste, welche die Statik des Baumes so weit verändern können, dass der Baum durch die Last auseinanderbricht. Ein solches Exemplar finden wir auf unserem heutigen Bild. Es gibt viele solcher Bruchweiden, wenn man sich entlang von kleinen Bachläufen umsieht, an denen diese meist zu finden sind. Für mich passen sich diese Bäume sehr ästhetisch in ihre jeweilige Landschaft ein und sie besitzen eine ganz eigene Schönheit.

Ein solcher Bruch des Stammes muss nun aber nicht sogleich das Aus für den betroffenen Baum bedeuten. Der Baum kann seine Wunden sehr lange kompensieren. Dann spielt er eine außerordentlich wichtige Rolle für verschiedene Tiere und Pflanzen, zu deren Gastgeber er wird. Die Verflechtungen zeigen sich also nicht nur in der Verarbeitung der Weidenruten zu Körben, sondern auf und in den Bäumen selbst finden intensive Verflechtungen von Beziehungen zwischen Tieren und Pflanzen statt. Von der Weidenbohrerraupe habe ich ja bereits berichtet.

Durch das Schneiden der Bäume entstehen weitere Verletzungen auch an der Baumrinde. Es entstehen Höhlen und Gänge in dem Baum. Besonders in Landschaften, die arm an alten Bäumen ist, bieten Kopfweiden eine gute Überlebenschance für seltene Tierarten, die dort Unterschlupf finden. Zu finden ist beispielsweise der gefährdete Juchtenkäfer, der mit Hilfe der Weide überlebt. Aber auch Fledermäuse und Eulen finden in den häufig hohlen Stämmen Unterschlupf oder Gelegenheit zum Nisten. Eine Korbweide, so hat man gezählt, ist Futterplatz für die Raupen von 21 verschiedenen Schmetterlingsarten. Je nach Holzart und Stand des Verfallsprozesses sind etwa 600 Großpilzarten und rund 1350 Käferarten an der vollständigen Remineralisierung einer zugrunde gehenden Weide beteiligt. Zwischen Pilzen und Insekten bestehen unterschiedlichste Abhängigkeiten. Insekten übertragen Pilzsporen auf den Holzkörper, die Pilze sind wiederum Nahrungsquelle und Teillebensraum für Insekten sein.

Der oben abgebildete Baum wurde am 10. Januar 2008 fotografiert und man könnte glauben, dass er kaum noch eigenes Leben besitzt: Deshalb hier noch eine zweite Aufnahme des gleichen Baumes, mehr als zweieinhalb Jahre später am 23. September aufgenommen. Welch eine gewaltige Fähigkeit, sich zu regenerieren steckt in diesen Kopfweiden!

Die gleiche Kopfweide im Sommer zwei Jahre später
BT0034

Gletscher-Bretterer

Terra Bus vor dem Einsatz auf dem Columbia Eisfeld

Auch Gletscher leben, sie atmen ein und sie atmen aus wie wir Menschen auch. Der Unterschied liegt allein in der zeitlichen Dimension. Könnten wir die Jahrhunderttausende der Veränderungen im Zeitraffer sehen, es böte sich uns eine sehr bewegte Vorstellung vom Leben eines Gletschers. Vieles was wir mit unserem vordergründigen Denken als 'tote Materie' betrachten, kann uns aus einem übergeordneten Blickwinkel als komplexes Zusammenspiel recht lebendiger Vorgänge der Natur erscheinen.

Das erste Mal sah ich ihn in voller Größe in Banff, auf einem Parkplatz abgestellt. Wenn man mich Winzling daneben stellt, wird einem erst so richtig bewusst, welche Dimensionen dieses Ding hat - alleine die Reifen fast so groß wie eine ausgewachsene Person. Das Gefährt in seiner ganzen Pracht, fast 15 Meter lang, 3,60 Meter breit, 4 Meter hoch und mit Touristen gefüllt 30 Tonnen schwer, ist in der Lage, 40 Stundenkilometer schnell über Schneefelder zu brettern!

Bei diesem 'Ding' handelt es sich um einen Snowcoach. Seine offizielle Bezeichnung ist 'Terra Bus', er ist ein Allradbus, von einem kanadischen Hersteller für Spezialfahrzeuge eigens konstruiert, um ihn in arktischen Gebieten einzusetzen.

Eingesetzt wird dieser Bus auch auf dem Columbia Eisfeld, wo er, neben zahlreichen anderen solcher Busse, Touristen durch die Gletscher kutschiert, die für nicht ganz wenig Geld diese Gletscher einmal 'begangen' haben möchten; irgendwo im Gletscher steigen sie halt aus und laufen ein paar Schritte auf ihm spazieren.

Die Firma Brewster, die solche Busse betreibt, ist im Gebiet der Nationalparks fast allgegenwärtig, nicht nur als Busunternehmen, auch als Betreiber von Hotels und Lodges und natürlich als Rundum-Reisemanager. Der Stammvater der Brewstergruppe kam Ende des vorletzten Jahrhunderts zusammen mit den vielen Glücksrittern ins Land und nutzte seine Chance: Was die Leute zur damaligen Zeit brauchten, war eine Transportmöglichkeit, eine Gepäckbeförderung und eine Möglichkeit zum Übernachten - Brewster bot all das im Gesamtpaket, damals noch mit Pferdekarren und einfachen Hütten in der wilden, weiten Landschaft.

Das Columbia Eisfeld, zwischen Jasper und Banff in den kanadischen Rocky Mountains ist ein riesiges Eisfeld, das aus acht großen Gletschern besteht. Jedes Jahr fällt etwa 7 Meter hoch Schnee auf dieses Gebiet und das Eisfeld ist bis zu 365 (!) Meter dick.

Eine der sechs Hauptzungen des Eisfeldes ist der Athabasca-Gletscher, der wegen seiner Lage nahe am Icefield Parkway am meisten besucht wird. Trotz der gewaltigen Schneemengen ist er infolge der Klimaveränderungen gewaltig geschmolzen, eineinhalb Kilometer in den letzten 125 Jahren. Auf der Fahrt zum Gletscher sieht man allenthalben Markierungstafeln, bis wohin der Gletscher sich wann erstreckte.

Das Eisfeld hat eine Gesamtausdehnung von gut 325 Quadratkilometern, eine Menge Fläche also, um mit Touristen auf Spezialbussen herumzutouren.

Die Aufnahme stammt vom 3. August 2008.

BT0033

Die Große Freiheit

Die Große Freiheit in Hamburg bei Nacht

Die 'Große Freiheit'. Überall wird sie dir versprochen, doch du bist auf der Jagd nach ihr bis zu deinem Lebensende. Dein Blick ist fixiert auf das Ziel, das du nie erreichen kannst, und die Realität gerät dabei in den Hintergrund, fängt an zu verschwimmen. Die Sterne die man dir vom Himmel holen wollte, entpuppen sich als schiere Plastiklampen, und die Klampen spielen dir nur eine schräge Musik: Es kann keine Freiheit geben, ohne die dazu notwendige Bindung!

Eine der bekanntesten Lokalitäten im Milieu ist die Große Freiheit Nr. 36. Dort befindet sich einer der ältesten Clubs in Hamburg. Es spielten schon die Beatles, Robbie Williams, Kylie Minogue und andere bekannte Showgrößen in diesem Club. Wenn Party angesagt ist, führt der Weg unweigerlich dorthin und vor allem an den Wochenenden strömen die Menschen, um bis in die Puppen zu feiern.

Die Große Freiheit liegt an der Reeperbahn. Vom Beatles-Platz aus führt die kleine Seitenstraße hinüber zur St.-Josephs-Kirche und: Ja, es gibt tatsächlich eine Kirche auf der 'sündigsten Meile der Welt', Vielleicht gerade deshalb.

Wie sehr die 'Große Freiheit' mit Sehnsucht und Illusion verwoben ist, zeigen auch der berühmte Film mit Hans Albers "Große Freiheit Nr. 7 oder eine ehemalige Fernsehserie mit dem Titel "Große Freiheit".

Auch wenn Reeperbahn und Große Freiheit in den Köpfen der Leute als 'Sündenpfuhl' spuken, ihre Ursprünge sind doch ganz anderer Art! Als Altona im 17. Jahrhundert noch eine selbständige Stadt war, wurde den Handwerkern, die auf der Großen Freiheit ihr Gewerbe ansiedelten, Religions- und Gewerbefreiheit versprochen. Sie mussten nicht in Zünften organisiert sein und konnten beliebigen Glaubensgemeinschaften angehören. Aus jener Zeit stammt auch die bereits erwähnte Kirche St. Joseph.

Altona gehörte zum Herzogtum Holstein und Holstein zum Deutschen Reich. Trotzdem wurde das Herzogtum vom dänischen Königshaus verwaltet. So war es auch der dänische König Friedrich III., welcher Altona die Glaubensfreiheit gewährte und die Bürger der Stadt ihre Kirche bauen ließ. Sie erhielten dafür einen Bauplatz auf der Großen Freiheit.

Zunächst also bezog sich die Sehnsucht nach Freiheit auf die Freiheit, seinen Glauben leben zu können. Aber dann wurde sich das Königshaus bewusst, dass man sich in Konkurrenz zu Hamburg wirtschaftliche Vorteile sichern könne, wenn man Altona über die Glaubensfreiheit hinaus auch wirtschaftliche Freiheiten gewährte. In Hamburg waren die Handwerker in Zünften organisiert, in Altona mussten sie das nicht und konnten ihre Arbeit ohne diese Bindungen ausüben. Die Rechnung ging auf und die Handwerker kamen in Scharen - Große Freiheit auch für die Arbeit und damit das täglich Brot! Altona gedieh prächtig!

Nun, wer mal den kleinen Finger hat, der strebt auch nach der ganzen Hand. Dass die Große Freiheit heutzutage mit der Freiheit der Lust assoziiert wird, dafür kann nun das dänische Königshaus aber wirklich nichts!

Ich hatte am 26. Juli 2011 mein großes Freiheitserlebnis und von daher stammt auch dieses Foto.

BT0032

Spiegelwelten

Betrachter von "Die Betrachter" von Peter von Tiesenhausen, Ecke Victoria/Queen Street, Toronto

Vorsicht, Kamera! Scheinbar betrachtet die Kamera den Betrachter, während der Betrachter die Kamera betrachtet. 

Tatsächlich aber betrachtet die Kamera eine Skulpturengruppe, während zugleich ein Einsatzfahrzeug dem Fahrzeug des Betrachters folgt.

Oder ist doch alles ganz anders und der eigentliche Betrachter versteckt sich hinter der Kamera, um von allen anderen Betrachtern nicht betrachtet zu werden?

Ein Spiegel offenbart uns die Welt, wie wir sie mit eigenen Augen niemals sehen können. Er offenbart uns Welten, wie sie unser Gegenüber sieht. Mit unserem Nebenmann teilen wir uns immerhin ein Stück unserer und seiner Weltsicht. Deshalb sind wir uns so vertraut. Wir lieben das Vertraute und scheuen, was uns nicht vertraut, was uns fremd ist.

Welche Sicht der Welten ist nun die richtige? Wenn es nach mir ginge, natürlich die meinige. Wenn es nach dir ginge, natürlich die deinige. Doch wer hat nun recht, du oder ich? Wessen Weltsicht ist die richtige, deine oder meine? An solch einfachen Fragen entzünden sich die Kriege der Welt, weil wir alle recht haben wollen. Wir beanspruchen, die Sicht der Welt durch unsere Augen sei die einzig richtige. Wir sind im Entweder-Oder-Denken gefangen: Wenn meins richtig ist, muss deins falsch sein!

Dabei gibt es so viele Weltanschauungen, wie es Lebewesen gibt. Wie interessant könnte es sein, die Welt einmal aus den Augen eines Frosches zu betrachten anstatt ihn tot zu treten oder ihm die Schenkel auszureißen. Vom Töten des Frosches ist es nur ein gradueller Schritt zum Töten des Nachbarn. Damit bewahren wir zwar unsere Sicht der Welt, aber wir versäumen eine wunderbare Gelegenheit, die Welt mit den Augen des Mitmenschen zu sehen.

Könnten wir doch als Mensch auf dieser Welt vom 'Entweder - Oder' zum 'Sowohl - Als auch' voranschreiten. Es wäre der größte Fort-Schritt, den die Menschheit überhaupt machen kann. Es wäre das Hinschreiten eines Geschöpfes zu seinen Mitgeschöpfen. Es wäre die Hinwendung vom Ich zum Du und es wäre die Selbsterkenntnis in der Welterkenntnis. Alle Ideologien könnten sich schlagartig in Nichts auflösen.

Vieles im Leben können wir nicht ändern. Unsere Sicht auf die Welt könnten wir ändern. Es wäre der Schlüssel zum Ändern unseres Denkens. Es wäre die Reise vom Ich zum Wir.

Die heutigen Gedanken stammen nicht von mir. Die Beobachter an einer Straßenecke in Toronto haben sie mir eingeflüstert. Sie beobachten ihre Welt in alle Richtungen. Sie werden nicht müde, sich zu erzählen, was sie noch so alles an interessanten Dingen sehen. Sie wissen, dass ihre Sicht nur eine Facette des Ganzen ist. Wenn dann alle Facetten zusammengetragen sind, sehen wir in der Welt der Spiegel dann auch noch unsere 'toten Punkte'.

Unsere Beobachter wissen es und künden davon. Warum vergessen wir selbst es so oft?

Die eine Wahrheit, die wir so gewaltig suchen, ist die Summe aller Wahrheiten, die sich in uns allen offenbart - einem jeden nach seiner Art und seinem Vermögen. Respektieren wir das und reifen wir daran. Lass uns Fremdes zu Vertrautem machen.

"Die Betrachter" von Peter von Tiesenhausen, Ecke Victoria/Queen Street, Toronto

Das heutige Bild des Tages wurde am 26. Juli 2011 aufgenommen.

BT0031

Tortoni und die Unsterblichkeit

Café Tortoni, Buenos Aires, Argentinien - mit Thérèse und Léon

Es gibt offenbar viele Wege, sich unsterblich zu machen, scheinbar unsterblich zumindest. Einer dieser Wege führt übers Eis, über den großen Teich, dann über die Kunst, zur rechten Zeit die rechten Leute am rechten Platz zu haben.

Guiseppe Tortoni, ein italienischer Auswanderer aus Neapel, war 1798 im Alter von 34 Jahren in Frankreich gelandet, vielleicht auch gestrandet. Er hatte seine alte, kranke Mutter dabei, sein nervtötendes Weib und drei schlechterzogene Kinder, so wird berichtet. Er kam mit einem schief-krumm-buckligen Gaul daher, aber immerhin dem einzigen 'Familienmitglied, das mich verstand und meine Träumereien unterstützte', wie er selber sagte. Ja, und ein Päckchen Bargeld hatte er auch noch dabei.

Er traf in Paris einen anderen Neapolitaner, der gerade im italienischen Viertel ein Café eröffnete. Er arbeitete für ihn, bis das Café pleite zu gehen drohte. Dann kaufte er es für einen Apfel und ein Ei, änderte den Namen in Café Tortoni und kreierte einen guten italienischen Nachtisch aus gutem neapolitanischem Eis. Signore Tortoni nannte es ebenfalls Tortoni. Es wurde sofort ein Hit.

Thomas Jefferson kam nach Mount Vernon, dem Landsitz von George Washington in Virginia, viele andere berühmte Leute auch. Sie wollten dort den Geburtstag von George Washington feiern. Jeder brachte, wie es Sitte war, als Geburtstagsgeschenk etwas zu essen mit. Thomas hatte ein 'Tortoni-Eiscrème-Dessert' von jenem verrückten Italiener Tortoni aus Paris dabei, dem neuesten Pariser Schrei aus dem Café Tortoni, wo er kurz zuvor gewesen war!

So war das Fundament zur Unsterblichkeit schon ganz am Anfang gelegt. Die Jahre vergingen, das Tortoni wurde immer berühmter, Schriftsteller, Reisende, und jeder, der etwas von sich hielt oder für etwas gehalten wurde, alle gaben sich die Klinke in die Hand.

Café Tortoni - Gründerzeit

Tortoni wurde 89, das Cafe überlebte noch bis 1893 und wurde dann geschlossen. Doch da gab es längst ein neues Café Tortoni jenseits des großen Teiches in Buenos Aires, Argentinien. Ein französischer Immigrant, Monsieur Touant, hat es 1858 eröffnet und seine Rechnung ging auf: Das Tortoni aus Paris war so berühmt geworden, dass der Name nahtlos auch in Buenos Aires Fuß fasste. Es kam die Zeit des 'Fin du Siècle'. Das Café zog um an seinem heutigen Platz und wurde dort neu in diesem Stil des Dekadentismus eingerichtet. So gut wie alle Neureichen geben sich seither ein Stelldichein im Tortoni, ich natürlich auch. Als wäre das Jahrhundert stehen geblieben, lässt sich die Dekadenz der frühen Jahre noch heute mit der Kamera einfangen.

Bei meinem Besuch im Tortoni am 9. November 2009 waren die Caféhausbesucher eher touristisch und die Caféhauspreise eher astronomisch. Ich fand es trotzdem phantastisch. Einstein war ja auch schon mal da! Und die Clinton, die Hillary. Herr Einstein und Mrs. Clinton.

BT0030

Salzlecken

Salzlecken im Banff Nationalpark, Kanada

Wild braucht Salz zum Ausgleich seines Mineralhaushaltes. Die einen sagen, das sei nicht unbedingt nötig, sondern lediglich ein Luxus für das Wild. Die anderen sagen, es sei lebensnotwendig für die Tiere. Ein wenig könnten wir ja dieser Sache einmal auf den Grund gehen.

Zunächst aber ein Abstecher zu den kanadischen Nationalparks. Auf dem Weg von Banff gelangt man über den Icefields Parkway zum Jasper Nationalpark. Der Icefields Parkway ist eine Panoramastraße, welche direkt durch die spektakuläre Hochgebirgslandschaft der Rocky Mountains führt. Aber nicht nur die Landschaft, auch Flora und Fauna bieten phantastische, und meist völlig unerwartete, Erlebnisse für den Reisenden.

Die Straßen des Parkway sind mit salzhaltigem Schotter unterlegt, aus dem bei Nässe das Salz ausgeschwemmt wird. Wie man sieht, haben die Ziegen dies längst spitzgekriegt und kommen, regelmäßig und oft in riesigen Herden, an den Straßenrand, um dort ihren Salzbedarf zu decken. Die Tiere zeigen dabei keinerlei Scheu vor den vorbeifahrenden Autos. Das müssen sie auch nicht. Die meisten Fahrer sind so überrascht, dass sie spontan direkt auf der Straße anhalten, um dem Treiben der Ziegen zuzusehen. Die Fahrzeuge auf der Straße stehen also nicht etwa in einem Stau; wer das Schauspiel kennt und es eilig hat, fährt einfach an den haltenden Fahrzeugen vorbei, die Straßen sind in der Regel breit genug.

Wofür benötigt nun das Wild sein Salz und warum holt es sich dieses direkt von salzigen Steinen? Alle Tiere benötigen Salz, doch das Wild ernährt sich von Pflanzen und Pflanzen können ihren Salzbedarf nicht decken, so dass sie gezwungen sind andere Quellen zu finden. Tiere, die Aas und Fleisch fressen, haben dieses Problem nicht, denn deren Nahrungsquelle enthält ausreichend hohe Konzentrationen an Salz.

In Europa baut man spezielle Salzlecken für das Wild auf. Salzlecken sind künstlich vorbereitete Stelle, an denen die Tiere ihren Salzbedarf lecken können. Doch ganz gleich ob bei uns, im afrikanischen Urwald oder in der kanadischen Wildnis, Salzlecken werden von jeder Wildart geradezu gierig angenommen, ganz gleich, ob es sich um unsere Rehe, um Waldelefanten, um Wapitis oder um sonstige Grasfresser handelt. Kilometerweit zieht das Wild zu den Stellen, wo es Salz gibt.

Besonders groß ist das Bedürfnis zur Salzaufnahme während des Haarwechsels, weil die dadurch besonders beanspruchten Stoffwechselvorgänge einen erhöhten Natriumbedarf erfordern. Und egal ob Rottier, Muffelschaf oder Rehgeiß - wenn sie im Frühsommer manchmal eine halbe Stunde lang an der Salzlecke stehen, dann nur, weil der Körper nach einem Ersatz für das Salz verlangt, das in großen Mengen mit der Muttermilch abgegeben wurde. Zumindest von Hausrindern ist bekannt, dass ihre Milchleistung rapide absinkt, sobald ihre Körperreserven an Natrium erschöpft ist. Wenn dies auch bei Wild zutrifft, ist natürlich ohne Salz auch das Jungwild direkt in seinem Überleben gefährdet!

Die Leckereien auf dem Foto stammen vom 3. August 2008.

BT0029


Bohrer gefällig?

Die Raupe des Weidenbohrers auf der Suche nach einem Winterplatz

Ein Bohrer ist heute das Objekt der Begierde, ein Riesenbohrer, genauer gesagt, und er läuft einem nicht jeden Tag über den Weg!

Aber schon seit einigen Wochen sind die, soweit ich weiß, größten Raupen einheimischer Schmetterlinge im Begriff, ihre Fressplätze zu verlassen. Sie laufen auf der Erde herum und suchen nach einem passenden Platz, um sich für den Winter eingraben zu können.

Die Raupe des Weidenbohrers wird etwa 8 bis 10 cm lang und zeigefingerdick. Ihr rotbrauner Rücken lässt sie rechtimposant erscheinen und würde man sie umdrehen, sähe man ihre intensiv-orange Unterseite. Beim Laufen öffnen sich kleine Schlitze an der Bauchseite, aus denen saugnapfähnliche Füßchen austreten. Ihr Kopf ist schwarz und besitzt kräftige Zangenwerkzeuge, mit denen sie sich durch Bäume, vorwiegend Weiden, hindurchfressen können. Damit ist auch klar, woher sie ihren Namen haben, denn sie bohren sich regelrecht durch ihren Wirtsbaum, hinterlassen bis zu 2 cm breite Gänge im Holz des Baumes und können einen Baum sogar zum Absterben bringen. Die Raupen verbreiten einen intensiven Essiggeruch, den man rund um den befallenen Baum auch riechen kann. Ob man sie auch heute noch isst, weiß ich nicht, die Römer jedenfalls verspeisten sie früher als Delikatesse!

Man findet die Weidenbohrer-Raupe, wenn sie nicht gerade wie hier auf Achse ist, auf verschiedenen Laubbäumen, besonders auf den Salweiden, die es bei uns zuhauf gibt. Aber selbst Birnen- und Apfelbäume verschmähen sie nicht.

Die Weibchen des Weidenbohrers legen ihre Eier in Rindenspalten ab, natürlich suchen sie sich dabei gerne bereits geschwächte, kranke Bäume aus. In der Rinde leben dann die Raupen nach dem Schlüpfen zunächst, häuten sich mehrmals und dringen dann tiefer ins Holz ein. Dort führen sie ihr Schlaraffenleben zwei bis vier Jahre lang, bis es Zeit zur Verpuppung ist. Dann gibt es Raupen, die im Baum überwintern und sich danach zum Verpuppen in die Erde eingraben. Andere bleiben im Baum und verpuppen sich dort. Wieder andere verlassen bereits im Herbst ihren Wirt und graben sich zum Überwintern direkt in die Erde ein, um sich danach zu verpuppen.

Wenn sie also demnächst mal wieder nach einem Bohrer suchen, einfach lange genug die Augen aufmachen und Sie werden garantiert einen finden. Doch Löcher in die Wand bohren können Sie mit unserem Exemplar leider nicht.

Begegnet ist mir die Riesenraupe am 12. Oktober 2011 in der Nähe von Roeser.

BT0028

Bis dass der Dieb euch scheidet

Fahrradpfosten am Straßenrand - Toronto, Kanada

Also so ein männliches und ein weibliches Fahrrad in trauter Eintracht mit Ringen vereint, das hat doch was!

In der Stadt Toronto in Kanada gehört das Fahrrad zum etablierten Stadtbild und allenthalben finden sich Pfosten, an denen man sein 'Ross' abstellen kann. Sorgsam angelegte Fahrradwege sorgen für ein weitgehend ungefährdetes Fahren, so man sich denn an die Regeln des Straßenverkehrs hält.

In Toronto gibt es neben den Fahrradpfosten auch eigens eingerichtete 'Fahrrad-Parkhäuser', in denen man sein Gefährt abstellen und sicher verwahren kann. Man kann sich auch jederzeit ein Fahrrad leihen, wenn man kein eigenes besitzt. Dass sich die Stadtverwaltung große Mühe gegeben hat, die Drahtesel in ihrer Großstadt hoffähig zu machen, hat zwar nicht die werktäglichen Rushhours beseitigt, aber doch einiges zur Entlastung der Verkehrssituation beigetragen. So mancher Fahrradhändler hat damit ebenfalls sein gutes Geschäft gemacht. Von einem will ich erzählen, der es vielleicht ein wenig übertrieben hat.

Igor war nicht nur Gebrauchtfahrradhändler in Toronto, er war auch Gebrauchtfahraddieb in Toronto. Dabei hat er es wohl mit dem Stehlen von Fahrrädern ein wenig zu toll getrieben. Als die Polizei einige Fahrradköder auslegte, wurde er ertappt und verhaftet. Man stellte dann fest, dass Igor mit seinen Komplizen in Dutzenden von Garagen insgesamt 2.865 gestohlene Fahrräder eingelagert hatte. So froh die Polizisten darüber waren, dass sie diese Diebstahlserie aufklären konnten, es wartete eine Menge Arbeit auf sie, um die Fahrräder an ihre Besitzer zurück zu geben. Etwa 100 Beamte waren mit dieser Aufgabe beschäftigt!

Dies war vermutlich der größte Fahrraddiebstahl aller Zeiten und so hat Igor es nicht nur bis ins Gefängnis, sondern auch bis ins Guiness Buch der Rekorde gebracht. Zu lesen war diese Geschichte vor ein paar Jahren in der Süddeutschen Zeitung.

Die heutige Aufnahme stammt von einem Spaziergang in Toronto am 26. Juni 2011.

BT0027

Martialische Pfähle

Totempfähle im Stanley Park, Vancouver

Es spukt noch in unseren Köpfen aus Winnetou-Zeiten und Karl-May-Lektüren, aus den Kindheitstagen, in denen wir Blutsbrüderschaften schlossen und uns so großartig dabei fühlten! Irgendwie spielten da immer auch Marterpfähle eine Rolle, mit grinsenden Fratzen geschmückt, an die wir in unserer Phantasie die Feinde fesselten.

Die Marterpfähle der tatsächlichen Ereignisse brauchten keine Schnitzereien, keine grinsenden Fratzen noch Masken. Ihre Funktion bestand ausschließlich darin, Feinde an sie zu binden und sie in rituellen Handlungen zu quälen, notfalls auch bis zum Tod. Bei weitem nicht alle Indianer verfolgten diesen Brauch, und die Prozedur verlief auch nicht notwendig tödlich; viele Gefangene wurden nach der Folter wieder freigelassen. Diese Praxis wurde hauptsächlich von den Indianern im Osten Nordamerikas geübt.

Im Nordwesten des Kontinents gab es den Brauch der sogenannten Totempfähle oder Wappenpfähle. Sie waren Symbole der Identität eines Stammes und wurden aus großen Baumstämmen geschnitzt und anschließend bemalt. Ein Totem ist somit ein Stammes- oder auch Familienabzeichen. Totempfähle waren in erster Linie Prestigeobjekte und werden in neuerer Zeit auch als Kunstobjekte angesehen.

Im Stanley-Park von Vancouver hat man eine Reihe solcher Pfähle zusammengetragen, jeder von ihnen ist ein einzigartiges Schmuckstück! Diese Pfähle sind eine der Attraktionen des Parks und werden von einheimischen wie Fremden gerne besucht.

Das heutige Foto zeigt einige der Pfähle aus dem Stanley-Park und wurde am 5. August 2008 aufgenommen. Überaus beeindruckend ist die Höhe dieser Holzsäulen. Der vorderste der fünf gezeigten Pfähle dürfte etwa dreieinhalb Meter messen. Der höchste Totempfahl, den es überhaupt gibt, ist über 56 Meter hoch und steht in Alert Bay in Britisch Kolumbien.

BT0026