Wo der Vorhang fällt

Teil der Rideau Falls in Ottawa, Kanada

Ein Vorhang erfüllt in der Regel den Zweck, Dinge zu verbergen. Damit weckt er aber zugleich unsere Neugierde; die Neugierde nämlich zu erfahren, was hinter dem Vorhang wohl verborgen sein mag. Diese Art von Neugierde ist eine positive, treibende Kraft. Ganz gleich, ob die Reise zum Mond oder nun zum Mars, ganz gleich, ob mit dem Schiff auf Entdeckungsreise nach Amerika oder mit dem Kamel auf der Seidenstraße nach Indien - immer galt es, Vorhänge zu öffnen, um die dahinter liegenden Geheimnisse erfahren zu können.

In der Nähe vom Zentrum Ottawas, unweit der Stelle, wo mir der schwimmende Reisebus entgegenkam, stürzen die Fluten des Rideau River über mehrere Kaskaden hinab in den Ottawa River. Besonders imposant ist das Naturschauspiel zur Zeit der Schneeschmelze, aber auch zu 'normalen' Zeiten sind die Kaskaden recht beeindruckend. Man kann mit dem Boot bis auf wenige Zentimeter an sie heranfahren, das Wasser scheinbar mit den Händen greifen, so Wasser sich denn greifen ließe.

Die Wasserfälle, die wir hier sehen, wurden die "Rideau Falls" genannt. Rideau ist das französische Wort für "Vorhang", und in der Tat erinnert das fallende Wasser irgendwie an einen zugezogenen Vorhang. Was mag wohl dahinter stecken?

Bei den Rideau Falls handelt es sich um zwei Wasserfälle, die dicht nebeneinander liegen, durch eine kleine Insel voneinander getrennt und über eine Brücke miteinander verbunden. Sie befinden sich in Ottawa, wo der Rideau River sich über diese Wasserfälle in den Ottawa River ergießt. Die Insel zwischen den beiden Mündungen wird Green Island genannt und auf ihr befindet sich die alte Stadthalle von Ottawa.

Obwohl die Rideau Falls das Ende eines Flusses bedeuten, hat man wegen ihrer beeindruckenden Erscheinung gleich den ganzen Fluss nach ihnen benannt. Neben dem Rideau River wurde aus strategischen Gründen auch ein Kanal gebaut. Für ihn waren die Fälle ebenfalls Namensgeber, denn der Rideau Kanal verbindet als eine Art Bypass verschiedene Teile des Rideau-Rivers miteinander. Auch er mündet schlussendlich über verschiedene Staustufen in der Stadt Ottawa in den Ottawa River. Diese Stufen sind einzigartig auf der Welt, sie werden noch heute per Hand betrieben. Der Rideau Kanal wurde von der UNESCO zu einem Weltkulturerbe ernannt, denn er ist die älteste ununterbrochen benutzte künstliche Wasserstraße in Nordamerika. Der Kanal wurde 1832 eröffnet und ist 202 km lang.

Die strategischen Gründe für den Bau des Kanals waren genau genommen militärische Gründe. Auch nach Ende des britisch-amerikanischen Krieges konnten britische Versorgungsschiffe nicht ohne Gefahr den üblichen Weg über den St. Lorenzstrom benutzen, denn im Grenzbereich des Stromes musste ständig mit Blockaden durch die amerikanische Seite gerechnet werden. Aus dieser Situation heraus entstand der Plan für den Rideau Kanal. Er sollte eine Ersatzstrecke zwischen Ottawa nach Kingston und damit zum Ontariasee schaffen. Zu der Zeit, als dieser Bypass entstand, nannte sich auch Ottawa sinnigerweise noch "Bytown". Später entstand dann der heutige Name aus dem indianischen Wort der Algonkin für 'Händler', da diese sich ursprünglich an dieser Stelle als Händler niedergelassen hatten.

... und so könnte man den Vorhang noch Stück für Stück weiter liften und viele andere interessante Geheimnisse lüften. Die Fotos habe ich am 2. Juli 2011 gemacht.

Die Rideau Falls aus der Distanz, mit Insel und Brücke

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Ein Bus fährt in den Fluss

Der Sightseeing-Bus "Lady Dive" auf dem Ottawa River

Gatineau an einem heißen Sommertag. Das "Canadian Museum of Civilisation" liegt direkt am Ottawa River. Ich stehe an der Reling eines Ausflugsschiffes und warte darauf, dass wir ablegen. Direkt vor mir eine abschüssige Straße, die direkt in den Fluss hinein führt. Ich denke mir, hier werden die Yachten zu Wasser gelassen.

Ein roter Bus biegt vom Museum her in diese Straße ein. Er fährt langsam, bewegt sich immer näher auf den Fluss zu. Nur noch wenige Meter. Kein Bremsen. "Der fährt einfach ins Wasser!" sage ich aufgeregt zu dem Passagier neben mir. "No wonder, it's Lady Dive!" bekomme ich lachend zur Antwort. Lady Dive ist ein Sightseeing Amphibienbus, mit dem Touristen die Städte Ottawa und Gatineau zu Wasser und zu Land besichtigen können.

Solche Amphibienbusse werden zunehmend zu verschiedenen Zwecken, unter anderem als Fähren oder Touristenbusse, eingesetzt und erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Der erste schwimmfähige Reisebus war der "AmphiCoach GTS-1", der 2006 als Prototyp fertiggestellt und in Malta getestet wurde. Die Testphase dauerte 3 Jahre, und erst seit 2009 läuft eine Serienproduktion von jährlich 12 Fahrzeugen zu einem Stückpreis von immerhin rund 200.000 Euro.

Weitere dieser Busse findet man inzwischen in Dubai am Creek, in Budapest für die Donau, in Rotterdam für die Nieuwe Maas, wo sie überall großes Aufsehen erregen. In Glasgow soll der Bus die Fähren ersetzen. Da die Fahrzeuge inzwischen technisch sehr ausgereift, sicher und dazu auch mit dem nötigen Komfort ausgestattet sind, werden Touristen in den kommenden Jahren wohl in vielen weiteren Städten ihre Stadtbesichtigungen mit dem 'Wasserbus' unternehmen können. Ich werde mir das Vergnügen jedenfalls nicht entgehen lassen, wenn sich wieder eine solche Gelegenheit bietet.

Das Bild wurde am 2. Juli 2011 am Yachthafen von Gatineau aufgenommen, im Hintergrund sieht man die Stadt. Auf dem folgende Video fährt der Bus an der gleichen Stelle aus dem Wasser.

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Mama, welch eine Riesenspinne!

Ottawa, direkt vor der National Gallery of Canada: neun Meter hoch ragt sie über mir empor und hält mich schützend umfangen, die Übermutter "Maman" der französisch-amerikanischen Künstlerin Louise Bourgeois. Dieses Riesentier wurde 1999 geschaffen und 2003 vor der Nationalgalerie aufgebaut.

Riesenspinne in Ottawa vor der kanadischen Kunstgalerie

Die Spinne stellt eine Hommage der Künstlerin an ihre eigene Mutter dar. Diese war Restauratorin von Tapisserien und hatte dabei unentwegt mit der Erneuerung alter Gewebe zu tun, wie das ja auch bei Spinnen der Fall ist. Die Spinne ist über neun Meter hoch; zwischen ihren Spinnenbeinen trägt sie einen Beutel mit 26 Marmoreiern. Schutz und Unbehagen vor der Mutter zugleich werden hier vermittelt.

Bei der Skulptur in Ottawa handelt es sich um einen Bronzeabguss des Kunstwerkes. Weitere zahlreiche Bronzespinnen befinden sich in Museen rund um die Welt verstreut, eine befindet sich zurzeit auf einer Wanderausstellung in der Schweiz. Das Original ist eine Skulptur aus rostfreiem Stahl und ist im weltweit größten Museum für moderne Kunst, dem "Tate Modern" in London, zu bewundern.

Die Künstlerin Louise Bourgeois wurde 1911 in Paris geboren und verstarb 2010 mit 99 Jahren in New York. Ihre Werke finden in der Kunstwelt internationale Beachtung. Für mich persönlich ist "ihre Spinne" das bevorzugte Werk, weil es nicht nur durch seine Größe besticht, sondern auch eindringlich den Widerspruch von Geborgenheit und Bedrohung unseres Lebens symbolisiert, ein Widerspruch, dem wir alle zu Zeiten ohnmächtig ausgeliefert sind.

Die Aufnahme stammt vom 3. Juli 2011. Schauen Sie mal bei Google nach, man kann die Spinne direkt vor dem Museum ganz deutlich erkennen. Durch den Schatten, den sie wirft, könnte man meinen, sie beschäftige sich mit einer zweiten Spinne!

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